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blog4: Was ist ein Trauma und wie wirkt EMDR?

 

EMDR steht für Eye Movement Desensitization and Reprocessing, was auf deutsch Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegung bedeutet. EMDR wurde in den 80iger Jahren von Dr. Francine Shapiro (USA) entdeckt. Sie behandelte damit ihre Ängste und Stressmomente, die sie nach einer Krebsdiagnose erfuhr. Nach Tests mit Freunden und Kollegen entwickelte sie EMDR schrittweise als Therapieform zur Behandlung von Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS).

 

Der Wissenschaftliche Beirat für Psychotherapie hat bereits 2006 EMDR als Methode zur Behandlung der PTBS bestätigt. Wissenschaftliche Forschungen zeigen, dass sich nach einer EMDR Behandlung bereits nach wenigen Sitzungen mindestens 80-90 Prozent der Klienten deutlich entlastet fühlen.

 

EMDR hat so ein breites Wirkspektrum, dass es für vielerlei psychische und seelische Störungen angewendet werden kann; so beispielsweise auch für Ängste, Phobien, Depressionen, Trauerverarbeitung, Süchte oder unerwünschte Verhaltensweisen.

 

Man weiß noch nicht genau, warum EMDR wirkt. Bisher ist die Forschung davon ausgegangen, dass durch bilaterale Stimulation beider Hirnhemisphären eine Verarbeitung von belastenden Erinnerungen ähnlich wie in den REM-Phasen des Schlafes stattfindet. Der wechselseitige Impuls erfolgt entweder durch Augenhin- und herbewegungen (visuell), durch wechselseitige Berührungen des Körpers (kinästhetisch) oder durch wechselnde akustische Signale auf dem rechten oder linken Ohr (auditiv). Diese Stimulation findet statt, während der Klient an die belastende Erinnerung, seine daraus resultierende selbst abwertende Überzeugung denkt und das dazugehörige Körpergefühl in seinem Bewusstsein hält.

 



 

EMDR Verarbeitungsprozess durch Augenbewegung

 

Eine Studie aus dem Jahr 2016 deutet darauf hin, dass der Erfolg der Therapie nicht von der bilateralen Stimulation abhängt. Es reichte in einer Vergleichsgruppe aus, dass der Therapeut die Hand still hielt und dem Klienten einen Fokus im Außen bot. Diese Praxis hatte die gleiche Wirksamkeit wie die der wechselseitigen Impulse. Demnach tendiert die Wissenschaft neuerdings mehr zu der Hypothese, dass die geteilte Aufmerksamkeit zum einen auf die Erinnerung und zum anderen auf den Fokus im Außen den Verarbeitungs- bzw. Heilimpuls setzt.

 

Was geschieht nun aber, wenn eine Erinnerung entlastend verarbeitet wird und im Gedächtnisspeicher ohne emotionale Brisanz neu abgelegt wird?

 

Man weiß, dass normalerweise Erlebnisse vom Gehirn bearbeitet, abgespeichert und wenn nötig geheilt werden, so, wie eine kleine Schnittwunde ganz von selbst im Laufe der Zeit verheilt. Ein starkes Trauma jedoch überfordert diese Verarbeitungsfähigkeiten. Dadurch kann es zu allen denkbaren Störungen, Ängsten und Blockaden kommen. Das weitere Leben steht im Schatten des Erlebten.

 

Trauma“ ist ein Begriff, der sich in den Medien als regelrechter Modebegriff verbreitet und der einiger differenzierter Erklärungen bedarf, um dessen Entstehung und das Potential, mit EMDR einen Heilimpuls zu setzen, aufzuschlüsseln.

 



 

Allein die Tatsache, dass Trauma und Traumafolgestörungen wie PTBS in die offiziellen Klassifikationen aufgenommen sind, ist wichtig, damit es Betroffenen ermöglicht wird, Hilfe zu bekommen. Überhaupt ist es zu ermöglichen, die Diagnose einer Traumatisierung zu stellen.

 

Wir sprechen von Trauma, wenn es um Erlebnisse von Todesgefahr, Todesangst, Lebensgefahr und/oder sexualisierte Gewalt geht. Das sind unfassbaren Erlebnisse, die jemandem extrem nahegehen beziehungsweise jemanden erheblich erniedrigen und einem Menschen dadurch eine psychische Verletzung zufügen.“ (Goltermann & Maercker, 2018)

 

So spricht der Psychologe Andreas Maercker in einem Interview über Traumatisierungen. Wichtig dabei ist, dass somit seit den 1980er Jahren ein äußeres Ereignis als Ursache für innere (seelische) Erkrankungen anerkannt wird. Zuvor wurden die Ursachen für psychische Erkrankungen immer in der Veranlagung des Betroffenen gesucht. Dieser Umschwung im Denken ist also wichtig für die generelle Endstigmatisierung psychischer Erkrankungen.

 

Neben den Traumata katastrophalen Ausmaßes, die plötzlich und unerwartet in unser Leben treten und nicht hinreichend verarbeitet werden können, gibt es auch die Entwicklungstraumata, welche im Laufe unserer biographischen Entwicklung unsere Überzeugungen, Wertehaltungen und unsere Resilienz beeinflussen. Kindheitstraumata stellen nun noch einmal einen Sonderfall dar. Bei einer Traumatisierung im Erwachsenenalter wird versucht, nach dem traumatischen Ereignis wieder zur „alten“ inneren Welt – also zu den inneren Schemata, welche vor der Traumatisierung die Erfahrung geordnet haben – zurückzukehren. Bei Kindern kann es nun geschehen, dass die „neue“ innere Welt – also die durch die Traumatisierung gestörten Modelle und Schemata – die einzige bleibt.

 

Kindheitstraumata entstehen, wenn die Erfüllung eines oder mehrerer unserer im Folgenden aufgeführten Grundbedürfnisse gestört ist und nicht nachbeeltert wird:

 

  1. Bedürfnis nach Bindung

  2. Bedürfnis nach Kontrolle und Orientierung

  3. Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung

  4. Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz

  5. Bedürfnis nach Kohärenz und Stimmigkeit

 



 

Diese Bedürfniserfüllung kann erheblichen Einschränkungen unterliegen, wenn in unserer Herkunftsfamilie eine gute, wertschätzende Kommunikation gefehlt hat, persönliche Grenzen überschritten wurden, die bedingungslose Liebe gefehlt hat, eine funktionale Vorbildfunktion nicht vorhanden war, unausgeglichene Machtverhältnisse existierten oder instabile Wertehaltungen vermittelt wurden.

 

Neben der gesamten Familiendynamik ist auch die Eltern-Kind-Beziehung entscheidend für die Entwicklung eines Kindes. Gemeint ist damit die Zweierbeziehung zwischen einem Elternteil und einem Kind sowie die Dreierbeziehung zwischen zwei Elternteilen und dem Kind. In der westlichen Gesellschaft sind diese Beziehungen häufig fundamental für die Erziehung von Kindern. Sie ist außerdem für die meisten Menschen die erste enge Beziehung und somit wichtig für die Sozialisation und den Aufbau von Verhaltensmustern. Viele Probleme, welche in späteren Beziehungen auftreten, können auf Probleme in der Eltern-Kind-Beziehung zurückgeführt.

 

Es kommt sogar vor, dass Traumata von den Eltern an ihre Kinder weitergegeben werden. Dann spricht man von transgenerationaler Weitergabe von Traumata. Dieses Phänomen wird besonders häufig bei Kriegserlebnissen beobachtet. So haben beispielsweise Holocaust-Überlebende häufig unverarbeitete Traumata, welche in anderer Form an die Kinder und spätere Generationen weitergegeben werden. Dabei findet sich selten eine genaue Übertragung der Traumafolgestörungen auf die nächste Generation, sondern eher ein erhöhtes Aufkommen an verwandten psychischen Störungen. „So übernehmen Kinder und Enkel von Holocaust-Überlebenden nicht notwendigerweise die Angststörung ihrer Eltern und Großeltern, zeichnen sich aber nicht selten durch eine erhöhte Ängstlichkeit aus.“ (Wissenschaftliche Dienste des deutschen Bundestags, 2016, aus einer Arbeit über Transgenerationale Traumatisierungen). Offiziell spricht man von einer primären Traumatisierung, wenn eine Person selbst ein traumatisches Ereignis erlebt hat. Wenn diese Traumatisierung an das eigene Kind weitergegeben wird, ist das eine sekundären Traumatisierung.

 



 

Nun wird an dieser Stelle bewusst, das ein einschneidendes Erlebnis oder auch stetige Beeinflussung uns in einer entscheidenden Art und Weise prägen bzw. konditionieren. Wir etablieren durch diese Erfahrung spezifische Netzwerke in unserem Gehirn. Solch ein Netzwerk beinhaltet ein Verhaltensmuster, was wir unbewusst aktivieren, wenn spezielle Trigger uns dazu veranlassen. Unser Gehirn funktioniert dabei sehr verlässlich und ruft dabei stets die gleichen „bewährten“ Bewältigungsmechanismen (Flucht, Kampf oder Erstarren) ab, einfach weil es aus evolutionsbiologischer Hinsicht darauf ausgerichtet ist, schnell und effizient zu reagieren, um uns vor Gefahren für Leib und Leben zu schützen.

 

Je nach Herkunft, Persönlichkeitsstruktur und Veranlagung prägen uns Ereignisse ganz individuell. So kann ein Erlebnis bei dem einen tiefgreifende Beeinträchtigungen verursachen, während ein anderer ein solches ohne Folgen verarbeiten kann.

 

Logo von Praxis für Psychotherapie nach Heilpraktikergesetz Kathrin Pasold

 

Um den Leidensdruck des Klienten in Coaching und Therapie für den Behandelnden nachvollziehbar bzw. übersetzbar zu machen, bedient man sich in der Praxis eines Skalierungssystems. Der Klient bestimmt dabei auf einer Skala von 0-10, wie stark eine Erinnerung, ein Lebensumstand oder ein Verhalten ihn belastet.

 



 


Die Skala des Leidens

 



 

Null: Wir empfinden überhaupt keine negativen Emotionen; bei null haben wir kein Problem.

 

Eins: Wir empfinden leichte negative Emotionen, die uns jedoch kaum stören.

 

Zwei: Wir empfinden ab und zu negative Emotionen, aber wir können sie die meiste Zeit ziemlich einfach ignorieren.

 

Drei: Wir können unsere negativen Emotionen nicht mehr so leicht ignorieren. Wir sind zwar trotzdem noch die meiste Zeit glücklich, aber wir spüren, dass wir etwas tun müssen, um unser Problem zu lösen.

 

Vier: Wir leiden schon ziemlich unter unserem Problem, aber wir können es immer noch beiseiteschieben.

 

Fünf: Unsere negativen Emotionen sind so stark, dass wir doch erheblich unter unserem Problem leiden. Es einfach zur Seite zu schieben, fällt uns schwer.

 

Sechs: Das Problem wegzuschieben fällt uns schwerer und schwerer. Die meiste Zeit müssen wir daran denken und wir leiden sehr darunter.

 

Sieben: Wir verzweifeln langsam.

 

Acht: Wir sind zutiefst unglücklich. Wir empfinden kaum etwas anderes, als unsere negativen Emotionen und wir haben nur wenig Hoffnung.

 

Neun: Wir sind extrem verzweifelt. Wir sind komplett in unsere negativen Emotionen eingehüllt und wir haben jegliche Hoffnung verloren.

 

Zehn: Wir sind komplett und absolut verzweifelt.

Quelle: Springett, Tara. Das Heilen mit dem höheren Bewusstsein: Wie man negative Emotionen, Beziehungsprobleme, chronische Müdigkeit und Schmerzen auf die schnellste Weise heilt

 

 

 

 

Anhand vorheriger Anamnese und unter Zuhilfenahme dieses Skalierungs-instrumentes kann der Coach oder Therapeut die Behandlungsplanung vornehmen. Er hat damit ein Werkzeug zur Hand, welches ihm vermittelt, welche Ressourcen erarbeitet werden müssen, bevor der Klient stabil und sicher mit der Verarbeitung des eigentlichen Problems beginnen kann. Des weiteren lässt sich mit diesem Tool der Behandlungsfortschritt einschätzen.

 

Mandala von Kathrin Pasold

 

Kommen wir nun zur Verarbeitung einer seelischen oder psychischen Belastung:

 

Im Gehirn eines erwachsenen Menschen befinden sich etwa 86 Milliarden Nervenzellen, auch Neuronen genannt. Diese sind untereinander mit ca. 100 Billionen Synapsen verbunden. Das heißt, jede einzelne Gehirnzelle ist mit jeweils mindestens 1000 anderen Gehirnzellen verbunden.

 

Die Länge aller Nervenbahnen des Gehirns eines erwachsenen Menschen beträgt etwa 5,8 Millionen Kilometer, was dem 145-fachen Erdumfang entspricht.

 

vernetztes Gehirn

 

Unser bewusster Verstand nutzt von dieser unfassbaren Leistungsfähigkeit allerdings relativ wenig. Pro Sekunde nimmt er maximal acht Informationen wahr, und um einen Gedanken vernünftig auszuformulieren, benötigt er durchschnittlich drei Sekunden. Früher sagte man immer, wir würden nur 10 Prozent unseres Gehirns nutzen. Heute wissen wir natürlich, dass das so nicht stimmt, denn unser Unterbewusstsein schöpft sehr wohl das volle Potenzial unserer grauen Zellen aus. Es verarbeitet nach neuesten Erkenntnissen pro Sekunde mindestens 80.000 Informationen und ist somit 10000-mal schneller (man könnte auch sagen: klüger) als unser bewusster Verstand.

 

Sekündlich 80.000 Daten könnten wir mit unserem bewussten Verstand nicht verarbeiten und bewältigen, und es macht auch keinen Sinn, sich jeder dieser Informationen bewusst zu sein. In unserem Unterbewusstsein ist absolut alles aus unserem Leben gespeichert – jede Erinnerung, auch wenn wir nicht ohne weiteres darauf zugreifen können. Das bedeutet: Jede Feder, die unsere Nase gekitzelt hat, jeder Sonnenaufgang, den wir gesehen haben und jedes liebe oder böse Wort, was wir gehört haben bis zu unserem gegenwärtigen Moment.

 

 

 

Jedes dieser Ereignisse bildet ein Netzwerk in unserem Gehirn. Den Aspekt der Vernetzung kann man sich anhand der Sinnesmodalitäten vorstellen. Jede Situation geht mit der Wahrnehmung eines Anblicks, eines Geräusches, eines Geruches, eines Geschmackes und eines Tast- oder Empfindungssinnes einher. Diese einzelnen Modalitäten werden in den jeweiligen Gehirnarealen verarbeitet. So sind schon einmal diese Bereiche des Gehirns vernetzt. Jeder Datensatz wird aufgrund unseres Erfahrungs- und Wertesystems in unbewusster und bewusster Form beurteilt und eingeordnet, was weitere Vernetzung zur Folge hat.

 

Hirnareale

 

Wenn wir einer schwierigen Erfahrung mit einer guten Bewältigungsstrategie begegnen können, dann aufgrund unserer Erfahrungen aus der Vergangenheit. Wenn ein Problem oder Trauma durch eine schwierige Situation erneut wachgerufen wird und unsere emotionalen Marker eine Ähnlichkeit zu der Ursprungssituation ausmachen, können wir nicht in einer funktionalen Art und Weise darauf reagieren. Das damalige Trauma ist noch nicht aufgelöst und wie ein starres Cluster in unserem Gehirn sozusagen „verkapselt“. Mit den entsprechenden Triggern ausgelöst spult es das immer gleiche Programm ab, welches zu einem Wechselbad der Gefühle, zu Angst, Panik, Niedergeschlagenheit oder ähnlichem führt.

 

Trauriges Gesicht Problemcluster im Gehirn

 

Wie wird nun ein Trauma mit EMDR verarbeitet?

 

 

 

Durch die Verarbeitungsprozesse mit EMDR werden im Gehirn immer wieder neue Synapsengruppen angeregt, dadurch Gedächtnisinhalte neu verknüpft und damit verarbeitet.

 

Auf diese Art und Weise erfolgt die emotionale Integration und die chronologisch korrekte Einordnung der Gedächtnisinhalte und die Klienten können danach angstfrei an zuvor schwierige Situationen denken und auch zukünftige Situationen neu bewerten, alte Pfade verlassen und positive Verhaltensmuster integrieren. Dieser Mechanismus im Gehirn wird Neuroplastizität genannt und beschreibt die Fähigkeit, der Neuronen, sich immer wieder neu zu vernetzen und neu zu lernen.

 

Sonne lachendes Gesicht Lösung